persönliche Erläuterung des Autors

Zur Einführung des Hörbuches „und führe mich“, das Tom Hantschel von den Landesbühnen Sachsen in eigener Regie nach dem in Österreich mit einem Förderpreis versehenen Roman liest, einige Fragen. Was bedeutet es Geschichten von Menschen zu erzählen, die bereits in die Prozesse unseres Vergessens geraten sind.

„Woraufhin schreiben, für wen sich ausdrücken und was ausdrücken vor den Menschen, in dieser Welt“? Ingeborg Bachmann fragt 1959 so in den Frankfurter Vorlesungen und fragt weiter: „Geht es um Rechtfertigung? Ist der, der schreibt, deutungssüchtig? Nach dem Krieg das Versummen, – Schuld an der Gesellschaft – Sprache muss eine neue Gangart haben, und diese Gangart hat sie nur, wenn ein neuer Geist sie bewohnt. Es gibt in der Kunst keinen Fortschritt in der Horizontale, sondern nur das immer neue Aufreißen einer Vertikale“.

Was also macht Friedas Geschichte, der tragenden Figur des Romans, in der Kriegs – und Nachkriegszeit bedeutsam?
Selbst ein Kind dieser Zeit und gleichaltrig mit dem Sohn Friedas, der sich am Bett seiner sterbenden Mutter fragt, ob er ihr Kreuz an der Wand auch nach ihrem Tod hängen lässt, stand auch für mich als Autor des Romans die Frage: Wie weiter? Was ist eine neue „Gangart“, wie I. Bachmann fragt. Frieda, eine einfache Landfrau in Thüringen und als Waise aufgewachsen, besteht ihr Leben in ihrem Glauben und im Gespräch mit ihrem Gott. Hat Friedas glauben Hinweischarakter? Und jetzt? Noch 30 Jahre später – wo Bedrohungen nicht weniger, nur globaler werden. Wo finde ich heute in dieser Lebensgeschichte eine neue Vertikale? Politik ohnehin, aber auch religiöse Antworten sind zu hinterfragen. Was ist das für ein Gott, an den Frieda glaubt? Ist er, wie oft verkündet, allmächtig im Sinne wunderbaren Eingreifens? Wie ist ein solches Gottesbild mit unserer Wirklichkeit zu vereinbaren? Kann andererseits dieser Gott nur „die Liebe“ sein? Führt dieses Gottesbild nicht ins Nebulöse? Muss es nicht in einer irrationalen Welt etwas geben, in dem wir Zukunft tragende Geschichten entfalten können, die das: Wie weiter“ ermöglichen?

In der Hiobsgeschichte fand ich einen Ansatz: Hiob, von seinem „Gehörtwerden“ überzeugt, redet und klagt im unverschuldeten Leiden liebe- und respektvoll vor der Macht des Geglaubten. Können leidvolle Geschichten sich daran orientieren?

„…und führe mich“ ist vor allem die Liebesgeschichte einer einfachen deutschen Frau mit einem französischen Kriegsgefangenen, die das Kriegskind als Icherzähler zu erleben und vor allem zu verstehen sucht. Ist in ihr bei allem dramatischen Geschehen ein Gottesbild zu finden, das zu ihren konkreten Lebensentscheidungen befreit? Ist die Geschichte so erzählt, dass aus ihr eine Mitte, ein Ursprung und ein Ende zu ahnen ist, ein Mitte, die Friedas Wirklichkeit trägt, weil sie in ihr involviert ist? Ist ihr Glaube, wie Tom Hantschel fragt, Flucht oder Zuflucht?
Ist Gott in ihr, das liebt?
Wenn ja, was ist das für eine Liebe, die das formale Gesetz und Gebot bricht, aber beides mit Leben füllt? Was macht ein Glaube aus, der diese Kraft zu lieben ermöglicht? Wird er nur wirksam, wenn er in seinen Beziehungen Vertrauen entfaltend konkret wird?
Gibt Friedas nicht hinterfragter selbstverständliche Glaube in ihrer Geschichte, vom Ende her erzählt, diesem namenlosen Gott, an den auch der Gekreuzigte glaubte, einen Namen – nämlich ihren? Wird das israelitisch übersetzte „Ich bin“ (in euch) in Friedas Geschichte so zukunftsträchtig? Kann in dieser Weise das JHWH, auch übersetzt als: „Ich werde dasein wie ich dasein werde“ zur neuen Vertikale werden?
Wird sie in mir Wirklichkeit – wirkmächtig – wenn ich liebe?
Kann sie mich so führen? Sind es diese Geschichten, die das schon begonnene Reich Gottes zu allen Zeiten meint?

Horst Baubkus