Lyrik

„Nur wer lobt lebt“ *

Mit dem Fuß hab ich den abgebissenen Kopf
der Drossel
zwischen  Linde und Auto ins Gebüsch
gestoßen.
In das Friedhofstor, sehe ich,
sind gülden bemalte Buchstaben geschmiedet:

„Selig sind, die im Herrn sterben“.

Kein Toter tanzt selig um die Kirche.
Nur die Blumen bewegen sich.

Ich habe die Drossel nicht begraben.

Die Federn,
die die Katze übrig ließ,
werde ich in mein Glas ins Zimmer stellen,
als Zeichen gegen die Töne, die im Gebüsch gurgeln.

Was ist schon eine tote Drossel,
die Katze folgt nur ihrer Natur, sage ich mir,
und höre aus dem Autoradio, was gerade geschieht.

Eine Stimme verkündet:
Auf allen Kontinenten gab es Tote.

Der Wüstensand der Durstigen und Hungrigen ist
über Paläste und die, die ohne Obdach sind, gezogen.
Er hat uns erreicht.
Aus einer Wolke fällt Sand
auf den Lack meines Autos.
Womöglich ist der Wind müde geworden.

Die Federn der Drossel zittern in meiner Hand.
Die Drossel war zum Singen geboren.

Sie hat der Katze  mehr vertraut,
als dem Wind,
der treibt jetzt  weltweit Wellen und Sand.

Es sollen sogar die Vögel verenden.

„So ist das Leben“

sagt die Alte,
die auf den Friedhof geht.
Sie hat meinen Schrecken bemerkt und
zeigt auf die Friedhofsmauer,
sieh,
dort singt sie wieder:

„Nur wer lobt, lebt.“
Und schon tanzt die Alte
gebeugt über den Gräbern
mit den Blumen im Wind.

Ich
blinzele in den Stern.
Schwalben fangen Mücken in meinen Augen
elegant um die Linde herum.
Sie werfen schnelle Schatten, schlucken,
was reichlich vorhanden ist.

„Ja, ich bin schuldig, sage ich.
Ich hätte die Drossel schützen sollen,
aber wie?

Auf der Friedhofsmauer die Drossel
begleitet den Tanz
heraus aus Angst und Enge,
sie singt dem Namen: „Der da ist“(Ps.68/5)
„ Nur  wer lobt lebt.“

*Heiko Miskotte, in
„Wenn die Götter schweigen“.